Ruth Brauer-Kvam im Gespräch
Die Regisseurin verrät, was sie an Pygmalion fasziniert und wie sie auf die Idee kam, drei Elizas in Szene zu setzen.„Pygmalion“ ist ein Mythos aus den „Metamorphosen“ Ovids, der von einem Bildhauer erzählt, der sich in eine Statue verliebt und Venus bittet, sie lebendig werden zu lassen. Von welcher Art von Verwandlung erzählt das Stück von George Bernard Shaw?
Für mich gibt es in dem Stück „Pygmalion“ drei Verwandlungen, die erste ist natürlich die der Eliza, die sich durch Mut, Klugheit, Ehrgeiz und nicht zuletzt auch durch ihren guten Lehrer Higgins in eine unabhängige, starke Frau verwandelt.
Von einem Wesen, das auf der Straße seine Blumen verkauft – immer in Gefahr, immer hungrig und frierend –, verwandelt sie sich in eine Frau, die ihr Leben aus ihrer inneren Kraft heraus meistert. Sie hat es nicht mehr nötig zu kämpfen, sie kann aus dem, was sie gelernt hat, schöpfen und sogar andere unterrichten.
Henry Higgins durchläuft auch eine Verwandlung. Eliza hat etwas in ihm gerührt, er hat sich an einen Menschen „gewöhnt“. Der Einzelgänger möchte plötzlich nicht mehr allein leben.
Aber auch die Gesellschaft durchläuft eine Verwandlung. London im ausklingenden viktorianischen Zeitalter ist eine Epoche voller Wandel und Unruhe – nicht unähnlich unserer Zeit!
Inwieweit sind gesellschaftliche Gräben zwischen oben und unten auch heute noch unüberbrückbar?
Shaw hat sein Leben lang nicht die Augen vor der Armut verschlossen. Er war wütend darüber, dass die Politiker die Probleme im Land nicht schneller lösen können. Ich bin sicher, er dreht sich gerade im Grab um – die sozialen Zustände in England sind besorgniserregend. Die Menschen im Norden Englands kämpfen immer noch mit der Armut, das Gesundheitssystem bricht zusammen, die Inflation steigt.
Aber nicht nur in England vergrößert sich die Schere zwischen Arm und Reich. Wir müssen alle extrem wachsam sein, unermüdlich für Bildung, Integration, Naturschutz und gegen die Armut kämpfen. Für eine gebildete, wache, demokratische und humanistische Gesellschaft.
Du hast selbst einmal die Eliza in der Musical-Adaption „My Fair Lady“ gespielt. Was unterscheidet das Musical und das Stück inhaltlich?
Der größte Unterschied ist, dass das Musical eine Liebesgeschichte zwischen Eliza und Higgins hinzufügt. Das fand Shaw grauenhaft. Er wollte nie eine Liebesgeschichte erzählen, ihn hat es viel mehr interessiert, Gesellschaftsformen zu hinterfragen, Normen und Konventionen.
Das Musical ist sehr „sweet“, aber das war die Zeit nicht. Eliza und Alfred Doolittle kommen aus der untersten Schicht, da geht es um das reine Überleben, das wird im Musical glattgebügelt.
Wie ist Eliza?
Eliza ist vor allem wahnsinnig mutig. Der Wunsch, sich zu verändern, etwas zu lernen, sich weiterzubilden – vor allem in dieser Zeit – war kein gängiger Wunsch in ihrer Gesellschaftsschicht, vor allem nicht als Frau.
Sie wächst über sich hinaus, traut sich aus ihrer Komfortzone heraus, bietet Higgins und seiner Arroganz Paroli. Sie ist stark, ehrgeizig und klug. Am Ende des Stücks ist sie nicht nur klug, sondern auch weise.
Eliza erlernt die korrekte Aussprache. Aber was lernt sie noch?
Higgins kultiviert Eliza – nicht nur ihre Sprache, auch ihre Sinne – er eröffnet ihr die Welt der Literatur, der Kunst, der Musik. Er schenkt ihr Wissen. Das größte Geschenk, das wir bekommen können. Sie lernt auch etwas über die Liebe – die Begegnung mit Freddy löst etwas in ihr aus, das sie vielleicht noch gar nicht kannte. Er vergöttert sie, schreibt ihr Liebesbriefe.
Aber sie lernt auch, sich zu benehmen, damit meine ich nicht, dass sie verkrampft und steif wird – sie lernt, wie man sich verhält, damit man den anderen nicht „stört“. Wie bewege ich mich in Gesellschaft von Menschen, wie höre ich zu, wie esse ich, wie „bin“ ich mit anderen? Das ist ja der ganze Sinn unserer Umgangsregeln – wir wollen in Harmonie miteinander leben.
Was fasziniert dich an der Biografie von George Bernard Shaw?
Shaw war eine sehr skurrile Figur. Er war ein Puritaner, ein Theaternarr, ein Romantiker, ein Zyniker, ein Humorist. Einerseits extrem scheu, anderseits sehr von sich selbst überzeugt. Er sagte: „Als ich klein war, wollte ich immer ein Shakespeare werden, und am Ende wurde ich ein Shaw“ – diese Art von Humor zeichnet ihn aus. Er widmete sein Leben dem Kampf gegen die Armut und für die Frauenrechte.
Neben dem Theater und dem Schreiben war das sein Hauptfokus im Leben. Ein Ire in England, immer ein wenig fremd. Und immer lustig. „You don´t stop laughing when you grow old, you grow old when you stop laughing.“
Was ist dein Lieblingssatz im Stück?
Der Unterschied zwischen einem Blumenmädchen und einer Lady liegt nicht darin, wie sie sich benimmt, sondern wie man sie behandelt.