Margarete Affenzeller, Der Standard
Meisterwerk der Aussparung: Alia Luque inszeniert Grillparzers Stück am Landestheater in St. Pölten. Die dramaturgische Disposition ist verblüffend: Franz Grillparzers Triptychon Das goldene Vlies – bestehend aus Der Gastfreund, Die Argonauten und Medea – benötigt unter den Händen von Regisseurin Alia Luque am Landestheater Niederösterreich nicht einmal zwei Stunden, um seine Tentakelarme zerstörerischer Gewalt auszubreiten. Und das obwohl Luque weitere Texte in das dreiteilige "dramatische Gedicht" einbaut: jene von Christa Wolf, Heiner Müller, Jean Anouilh sowie aus der Kindertragödie von Suzanne Osten/Per Lysander (Dramaturgie: Julia Engelmayer). Die Länge eines Abends ist gewiss kein Anhaltspunkt für die Qualität desselben, doch es bleibt bemerkenswert, wie intensiv die vergleichsweise kurze Aufführung ihre Anliegen vorzubringen weiß. Kaum sind die ersten Blicke gewechselt, hat man sich den Nagel der Schuld auch schon eingetreten. Phryxus, der Vlies-Träger, wird seines Machtinsigniums wegen von Medeas Vater getötet. Für diese erste, der eigenen Machterweiterung dienende Tat, wird das Kolcher Geschlecht lange büßen. Medea, die an der Seite Jasons ihre blutbefleckte Familie flieht, aber auf allen Inseln Griechenlands verstoßen wird, schließlich auch vom eigenen Ehemann, wird eines der größten Opfer sein wie auch – durch den Mord an ihren Kindern, sowie an ihrer vermeintlichen Nachfolgerin Kreusa – zur Täterin werden. Es sind keine Menschen (also solche mit Fußpilz oder die Kastanien klauben), die in den griechischen Tragödien agieren, vielmehr Prinzipien in humanoider Gestalt. An diesem Grat operiert Luque; sie spart runter auf abstrakte Sprechakte, in denen die Spieler in präziser Dynamik – wie einander auflauernde Löwen im Käfig – mit Sätzen aufeinander losgehen. In diesem choreografischen Spannungsfeld bewegt sich auch das Vlies mit (als Tänzer anwesend: Milan Loviska). Luque kleidet das Figurenpersonal in Latex (Bühne, Kostüme: Christoph Rufer, Ellen Hofmann), das weniger wie Gewand, denn wie eine zweite Haut die Körper überzieht. Alle halten sie sich Gemütsregungen vom Leib. Allen voran Medea (toll: Silja Bächli), die ihren Körper mit voller Wucht auf den verräterischen Jason (Tobias Artner) wirft, sodass die Häute schmerzhaft quietschen. Die Doppelbesetzungen – z. B. Bettina Kerl einerseits als Medeas Bruder sowie als Kreusa (Medeas Feindin) – zeichnen die Fortsetzung der angehäuften Schuld nach. Ein kluger, präziser, spannender und sogar junges Publikum ansprechender Abend.
Peter Jarolin, Kurier
... Im Landestheater Niederösterreich reduziert die katalanische Regisseurin Alia Luque Franz Grillparzers "Das goldene Vlies" auf seine Essenz, eilt in atemberaubender Geschwindigkeit durch den "Gastfreund", die "Argonauten" und "Medea". Und das alles in einer Stringenz, die staunen lässt. Nach nicht einmal 20 Minuten ist der Gastfreund tot, beginnt sich die Spirale des Schreckens und der Grausamkeit zu drehen. Nicht einmal 20 Minuten später sagt sich Medea von ihrem Vater los und folgt Jason in die fremde Heimat. Das Vlies als Symbol der Macht und auch des Verderbens ist in Gestalt eines Tänzers (stark gestaltet von Milan Loviska) omnipräsent. Und Medea, die Heimatlose, geht ihrem und dem Untergang der anderen entgegen. Denn am Ende regent es Blut, viel Blut sogar. Es ist Alia Luque in ihrer minimalistisch-choreografischen Inszenierung zu danken, dass dieser Grillparzer auch dank diverser Texteinschübe von Jean Anouilh, Per Lysander, Heiner Müller, Suzanne Osten oder einer Christa Wolf sprachlich und thematisch so aktuell, so heutig, so drastisch gültig wirkt. Auf der sich nach und nach vergrößernden Bühne (Christoph Rufer) regiert steriles Weiß, in farblich unterschiedlichen Lack-, Leder- und Latex-Kostümen (Ellen Hofmann) dreht sich die Spirale der Gewalt wie unter einem Brennglas. Das ist sehr klug gedacht, meist auch sehr gut gemacht. Das Personal ist stark reduziert, der Tänzer, zwei Kinder und vier Schauspieler reichen aus. Zu Recht, denn diese sind fast durchwegs erstklassig. So gibt Silja Bächli eine intensive, die Liebe radikal lebende und einfordernde Medea, die in letzter Konsequenz zur traurigen Furie mutiert. Bettina Kerl ist ihr ein androgyner Bruder und eine eiskalte Gegenspielerin Kreusa. Die Herrscher sind bei Michael Scherff in besten Händen, Tobias Artner bleibt als Jason nur die Rolle des Opportunisten. Stark!
Salzburger Nachrichten
Eine archaische Geschichte voll antiker Mythologie und psychologischer Tragweite in tragödischer Zuspitzung: Die katalanische Regisseurin Alia Luque hat Franz Grillparzers Trilogie "Das goldene Vlies" auf zwei Stunden komprimiert und eine essenziell reduzierte Inszenierung auf die Bühne des Landestheaters NÖ in St. Pölten gestellt. ... Das Resultat mag vielleicht orthodoxe Grillparzer-Kenner verschrecken und durch manche Verkürzung im Detail nicht immer nachvollziehbar wirken, überzeugt jedoch insgesamt substanziell. Auch der Umstand, dass sechs Rollen durch drei Schauspieler dargestellt werden, entspringt nicht (nur) reiner Sparsamkeit, sondern auch innerer Logik. Das Ereignis des Abends ist wohl Silja Bächli als Medea im roten Plastikkostüm: eine starke, intellektuell überlegene und sinnliche Frau, die all ihre Anlagen dem letztlich abtrünnigen Gespons opfert. Allein wie sie die jeweiligen Situationen mimisch und rhetorisch quittiert, ist ein Erlebnis für sich. Tobias Artner spielt Phryxus und Jason präzise in waidmannsgrüner Pelerine, Bettina Kerl wandlungsfähig den Absyrtus und die Kreusa, Michael Scherff, ideal besetzt, die Könige Aietes und Kreon. Besonders entzückend: Medeas Kinder. Originell ist zweifellos die Idee, das goldene Vlies mit einem Tänzer (Milan Loviska) zu personifizieren. Originell ist auch das asketisch weiße Bühnenbild, das sich zuletzt keilförmig verengt. Deutlich wird: Es geht um Macht und Gier und den dafür zu entrichtenden Preis und um eine desaströse Korrumpierbarkeit, die bis ins Privateste reicht. Am Schluss regnet es Blut, und das Gold killt wie weiland bei James Bond - eine Message wie ein einprägsames Menetekel. Grillparzer reloaded - durchaus gelungen!
Katrin Nussmayr, Die Presse
... Losgelöst von Zeit und Raum rückt dabei die Handlung in den Hintergrund. Was bleibt, ist eine komprimierte Auseinandersetzung mit dem Hunger nach Macht, den Grenzen der Zivilisation und der Art, wie wir mit Menschen aus fremden Kulturen umgehen. Das Vlies selbst wird in dieser Inszenierung durch den Tänzer Milan Loviska personifiziert. Er setzt die vielen Bedeutungen, die auf dem mythologisch aufgeladenen Stoff liegen, in fließenden Bewegungen um. In seiner ersten Begegnung mit Medea (Silja Bächli) kriechen beide aufeinander zu und drücken in einem animalisch anmutenden Tanz ihr Begehren aus. Später wird Medea ihre Familie verraten, um mit Jason (Tobias Artner) nach Griechenland zu ziehen, wo sie aber nie akzeptiert und letztlich auch von ihrem Mann verstoßen wird. Bächlis anfangs nüchternes Spiel gipfelt in eindringlichen Gefühlsausbrüchen, als Medea das Unrecht, das ihr zuteil wird, erkennt und schließlich nach schrecklicher Rache sinnt - bis in diesem luftleeren Raum, in dem sich all das zugetragen hat, das Blut von der Decke tropft. Starker Applaus.
Mario Kern, NÖN
Medea im roten Latex-Kleid, ein weißes Bollwerk als Bühnenbild, Blutregen, tänzerische Einlagen: Alia Luque hat mit ihrer Inszenierung von Franz Grillparzers Werk im Landestheater einen optischen Volltreffer gelandet. Nicht zuletzt durch ihren Kunstgriff, das mythische Vlies durch einen Tänzer (Milan Loviska) darzustellen, gewinnt das Stück an atmosphärischer Dichte. Im Mittelpunkt des Mythos webt das Macht und Unglück bringende Vlies seinen Zauber, und hext, liebt und verzweifelt Medea, die sich für den Griechen Jason gegen ihre Familie wendet. Die Tragödie einnehmend dargestellt haben vor allem Bettina Kerl und Michael Scherff in Doppelrollen. ... Fazit: Ein dichtes Kammerspiel, optisch und atmosphärisch nahezu einwandfrei angelegt.