Johannes Schmid, LitGes St. Pölten
Der junge Autor Moritz Beichl hat Kafkas sattsam bekannte Erzählung über Gregor Samsa, der sich über Nacht, sich selbst und der Familie zum Entsetzen, in einen Käfer verwandelt, in eine vorzügliche und offenbar auch gut spielbare dramatisierte Fassung gebracht, die alle Psychologie, allen Schrecken sowie die konfliktreiche Atmosphäre des Originals in künstlerisch eindrucksvoller Weise wiedergibt. Als besonders glücklich erweist sich der Einfall Beichls die Person der Schwester und ihr ambivalentes Verhältnis zum verwandelten Bruder in Form von Tagebuchnotizen im dramatischen Geschehen zu berücksichtigen. Was diesen Theaterabend zu einem unvergesslichen Erlebnis macht, ist die überwältigende schauspielerische Leistung von Stanislaus Dick. Nicht genug, dass er alle Personen des Stückes verkörpert, also nicht nur Gregor Samsa, sondern auch den Vater, die Mutter, die Schwester und den Prokuristen, er spielt, fast ohne Zuhilfenahme von Requisiten, den Protagonisten in Gestalt des Käfers unter größtem körperlichen Einsatz in solcher Vollendung, dass einem kalte Schauer über den Rücken laufen. Die Ausdruckskraft und Wandlungsfähigkeit seiner Stimme machen die Tragik, ja auch das Groteske der Verwandlung mehr als glaubhaft.
Die Absicht des Autors, einen Menschen zu zeigen, der unter dem Druck der Gesellschaft, die Konformität und Gefügigkeit verlangt, letztlich scheitert, geht voll auf. Beiden, sowohl Beichl, als auch Dick, sei gedankt für diese herrliche Aufführung, die vor allem viel junges Publikum angelockt hat, das nicht mit Applaus und Bravo-Rufen sparte.
Kultur und Wein
... Das Landestheater Niederösterreich hat „Die Verwandlung“ dem jungen Regisseur Moritz Beichl übertragen und für das große Solo den sowohl darstellerisch wie körperlich prädestinierten Schauspieler Stanislaus Dick engagiert. ... Stanislaus Dick schafft es, ohne monströse Verkleidung wie einem Chitinpanzer und nur mit einer Hand voll Requisiten wie leere Bilderrahmen, dem Lieblingsbild und ein paar Möbel zum Käfer zu mutieren, der hilflos auf dem Rücken zu liegt und mit den Gliederfüßchen strampelt, um sich langsam aufzuraffen und den Kampf mit sich und der Ablehnung durch seine Lieben aufzunehmen. Er meistert akrobatisch die literarische Vorgabe, wie ein Insekt an den Wänden hoch zu krabbeln, wirft sich abenteuerlich durch die Sesselreihen und bezieht Mitleid heischend hemmungslos das Publikum in die Familie ein. Aus dem Hintergrund wird Musik eingespielt, mit dem Nerven zerfetzenden Rhythmus eines ungarischen Tanzes von Johannes Brahms oder einem Violinsolo, das mit dem herzlichen Gefühl zu seiner Schwester für einen kurzen Moment die Verzweiflung übertönt. Dazwischen liest Katharina Knap aus Gretes Tagebuch, in dem die traurige Entwicklung von außen betrachtet wird. ...
Die Produktion kann damit in jeder Schule gebucht werden, allein schon vom geringen Aufwand der Ausstattung her. Für diese lebendige Lektion in Deutsch und Literaturgeschichte genügt tatsächlich der Katheder, der zum Bett umfunktioniert wird, auf dem sich Gregor mit drastischem Zucken in das Insekt verwandelt. Es ist imstande, die Aufmerksamkeit der Schüler wie wenig anderes zu fesseln und diese erstens auf einen Dichter zu lenken, der zum Lebensbegleiter im Bücherschrank werden sollte, und zweitens zu einer Diskussion über das Verhalten gegenüber Unerwartetem und vollkommen Ungewöhnlichem im Anschluss an die Vorstellung anzuregen.
Robert Voglhuber, Momag - Mostviertel Magazin
... Der Schauspieler brauchte nichts, nur eine Schulbank, die als Bett des in animalischer Verwandlung befindlichen Gregor Samsa diente. Es war erschütternd, skurril und urkomisch, was die Performance des jungen Schauspielers darbot: Kafkas Handelsreisender als ekelhafter Käfer in Vereinzelung, Ohnmacht, Entfremdung von sich selber und Angst in grotesken Szenen und in nüchterner Sprache. In käferartigen Verrenkungen auf einer Schulbank liegend spricht der Schauspieler den Anfangssatz aus der „Verwandlung“, die Kafka 1912 schrieb: „Als Gregor Samsa eines morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ So lapidar konstatiert er seine unheimliche Verwandlung. Gregor Samsa gerät über seine neue Existenzform zunächst kaum ins Staunen, halb unwillig möchte er sie als Einbildung abtun: „Wie wär es, wenn ich noch ein Weilchen weiterschliefe und alle Narrheiten vergäße“. Die „Verwandlung“ (Theaterfassung von Moritz Beichl) steigert sich ins Surreale. In einer Dauer von nur 50 Minuten (Schulstunde) vollzieht der junge Schauspieler Stanislaus Dick eine verblüffend organische Transformation. Alle sportiven Verrenkungen und gymnastischen Sätze, die dem Darsteller einiges an Körperbeherrschung abverlangen, brachten ihn nicht im Geringsten in Verlegenheit. Für die ... Schulklassen und ihr Lehrpersonal war es in hohem Maße berührend, ja schockierend, so intensiv in die Welt der Verwandlung einzutauchen. Ohne auch nur eines der vielen Rätsel zu lösen, die den kafkaesken Kosmos der „Verwandlung“ umgeben, können wir uns noch heute fragen, ob wir die Mahnung einer solchen Geschichte hören?