Margarete Affenzeller, Der Standard
Katharina Knap klaubt mit gravitätischer, rhythmisch ausgeklügelter Sprechweise – das Kärntner Idiom einflechtend – die Sätze Josef Winklers sicher vom Papier herunter. Nach zehn Jahren in Deutschland, wo sie den Titel "Nachwuchsschauspielerin des Jahres" erworben hatte, ist die in Wien geborene Mimin nun nach Österreich zurückgekehrt und im Herbst mit Intendantin Marie Rötzer ans Landestheater Niederösterreich gewechselt. Ein Glück für dessen Publikum.
Ein über 20 oder noch mehr Zeilen reichender Satz, mit dessen Einschüben Winkler ein zu beschreibendes Bild samt all seinen Bezügen unnachgiebig einkreist, um seiner habhaft zu werden, so eine sprachliche Zuschärfung gewinnt durch Knaps Rede richtig Farbe und Temperatur. Dabei immer unaufdringlich. Das konzentrierte Publikum in der Werkstattbühne des Landestheaters folgt ihr so an das Ufer des Ganges, in den Tokioter Stadtteil Roppongi und ins Kärntner Dorf Kamering, wo Josef Winklers Vater in Abwesenheit des Sohnes 99-jährig starb und beerdigt wurde.
Einer Sprache, die so bilderstark ist, genügt auf der Bühne die eine wesentliche szenische Idee, die Regisseurin Julia Jost ausspielt: Ein auseinandergerissenes Haus, ein Glashaus, hängt in Einzelteilen vom Schnürboden (Bühne: Sebastian Faßnacht).
Der Anblick der Unbehaustheit und des Schmerzes verstärkt sich noch, wenn die drei in bunte Josef-Winkler-Hemden gekleidete Erzählerfiguren (der Autor ist für sein Bekenntnis zur Farbe bekannt) mit ihnen lautstark in Berührung kommen. Neben Knap sind dies Tobias Artner und Vidina Popov, die Schauplätze und Momente imaginieren. Der Vater (Helmut Wiesinger) sitzt sprachlos mittendrin. Ein anderer Platz als ein sichtbarer, aber doch stummer und abwesender könnte ihm nicht zuteil werden. Julia Josts achtbares Erzähltheater ist nur in einem unentschlossen: im Finden eines Endes. Die letzten 20 Minuten umkreist sie den Schlusspunkt orientierungslos. Dem Ruf nach "mehr Winkler am Theater" tut das aber keinen Abbruch.
Kultur und Wein
Die ebenfalls in Kärnten geborene Julia Jost hat aus dem Roman eine Essenz gezogen und damit ein packendes Stück Theater gemacht. Am 20. Jänner 2017 wurde ROPPONGI im Landestheater Niederösterreich uraufgeführt. Jost hat in dieser Inszenierung für die Theaterwerkstatt selbst Regie geführt. Katharina Knap wird zum Autor, sie wird zur Berichterstatterin über grausam anmutende Totenrituale in Indien und über archaische Kärntner Gesellschaftsstrukturen.
Sie beschwört aber auch den inneren Kampf eines Menschen, dem das Sterben und der Umgang mit den Toten zum Mittelpunkt seiner Gedanken geworden sind. Vidina Popov mit zartem Flügelschlag ihrer Hände und ein lächelnder Tobias Artner sind die Kommentatoren dieser Auseinandersetzung. Wortlos sitzt Helmut Wiesinger auf der Bühne. Er ist der Vater, den nunmehr Sprachlosigkeit vom wortgewaltigen Sohn trennt. Auch die rüde Aufforderung „Red´ doch oder scheiß Buchstaben!“ erlösen ihn nicht aus dem Schweigen.
Schließlich sind es seine eigenen Worte, mit denen er Sohn Josef seinerzeit gequält hat. Schauplatz ist eine Art Glashaus (Bühne: Sebastian Faßnacht), zumindest dessen einzelne im Raum hängende Wände, die immer wieder durchstoßen und doch wieder zusammengesetzt werden. Der Zusammenhang mit dem Inhalt wird nicht ganz klar, aber sie geben die Möglichkeit für erstaunliche Lichteffekte, die der Fantasie den nötigen Raum zum Wandern zwischen Varanesi, Kamering und Roppongi geben.
Martin Pesl, nachtkritik
Jost hat insgesamt vier Schauspielende besetzt, zwei Männer und zwei Frauen, die sich, alle ins gleiche fröhlichgelbe Seidenhemd mit rosa Blumen gekleidet, Winklers Ich-Erzählung aufteilen. Genauso gut hätte es aber bei einer Frau bleiben können: Katharina Knap spricht ihren Text mit einer Intensität und dringlichen Ernsthaftigkeit, dass man die dem Projekt "Mehr Winkler im Theater" inhärente Fragwürdigkeit vorübergehend vergisst.
Knap ist aus Stuttgart neu ins St. Pöltener Ensemble gekommen und eine wahre Entdeckung. Klein von Statur, hier mit Kurzhaarfrisur, melkt sie ihr Kindchenschema nur sehr sparsam. Innerhalb dieses relativ kurzen Abends kann sie groß und klein, wild, elegisch, kokett, laut und leise, märchenhaft verführerisch, gruselig und – besonders wichtig für die Annäherung an die Winkler-Verwandtschaft: Kärntnerisch.
Sie verleiht den winklerschen Notizen Tiefe. Die Erinnerungen an die Kindheit, als die Kleinen für den Großvater noch Blumen sammeln mussten, strengen sie an, sie wirkt traumatisiert, aber kontrolliert. Wenn sie die Angstschreie der sterbenden Oma imaginiert, bricht sie plötzlich aus und fasst sich gleich wieder. Vor den Kärntnerliedern, die sich der Sohn beim Vaterbegräbnis hätte anhören müssen, wäre er nicht in Roppongi, Tokio gewesen, windet sie sich mit fast komischem Grauen – man versteht sie nur zu gut.